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Die goldenen Bl​ä​tter

from s'isch M​ä​rlizyt by Silvio Beltrametti

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lyrics

Es war einmal eine alte Frau, die besaß nichts mehr als eine alte Ziege. Dem reichen Müller war die Alte schon lange zwei Dukaten schuldig. Weil sie das Geld aber noch immer nicht beisammen hatte, konnte sie es auch nicht zurückzahlen. Da ging die Alte zum Müller und sagte: »Habe doch Verständnis für meine Not und warte noch ein wenig! «Der Müller hatte aber ein hartes Herz. Er erwiderte: »Ich kann nicht mehr länger auf mein Geld warten. Wenn du deine Schuld nicht bis morgen bezahlst, komme ich und hole mir deine Ziege aus dem Stall!« »Mein Meckerle?« jammerte die Alte. »Die willst du mir wegnehmen? Wovon soll ich denn dann leben, wenn ich nicht einmal mehr das bißchen Milch habe?« »Das ist mir gleich«, polterte der Müller. »Es bleibt dabei: entweder das Geld oder die Ziege! «Und er kehrte der Frau den Rücken und ging wieder seiner Arbeit nach.

Auf dem Heimweg rannen der Alten die Tränen über die Wangen. »Jetzt soll ich mein Meckerle hergeben; und dann muß ich betteln gehen, wenn ich nicht vor Hunger sterben will!« klagte sie. »Aber wenigstens du sollst noch einmal gut zu essen haben, Meckerle!« Und sie riß frisches Laub von den Bäumen und füllte es in ihren Tragkorb. Noch nie war der Frau die Last so schwer gewesen wie diesmal. Kaum daß sie das Futter schleppen konnte. Am Ufer des Waldbachs mußte sie rasten: die Beine schmerzten, und der Rücken tat ihr so weh, daß sie den Tragkorb auf den Boden stellte. Mit einemmal war ihr, als habe der Bach zu sprechen begonnen. Ganz deutlich hörte sie aus den Wellen eine Stimme rufen: »Tauch das Laub ins Wasser ein, wirst du morgen glücklich sein!« Als die Frau das hörte, dachte sie: »Es ist doch nicht möglich, daß das Wasser zu mir spricht! Ich muß mich getäuscht haben! «Aber gleich darauf hörte sie die seltsame Stimme wieder sagen: »Tauch das Laub ins Wasser ein, wirst du morgen glücklich sein! «Da stand die Alte auf, nahm das Laub aus dem Korb und tauchte es in das Wasser. Dann stopfte sie die nassen Blätter in den Korb zurück, hob ihn auf den Rücken und setzte ihren Weg fort.

Daheim ging sie gleich in den Stall und warf der Ziege das Futter vor. Obwohl das Tier schon hungrig sein mußte, schnupperte es nur daran, wandte sich dann ab und meckerte kläglich. Die alte Frau setzte sich zu ihrer Ziege, klopfte ihr den Hals und sprach zu ihr wie zu einem Kind: »Sei nicht traurig, Meckerle! Auch wenn dich morgen der böse Müller holt. Schau, ich habe dir frisches Futter gebracht! «Die Ziege meckerte, leckte ihrer Herrin die Hand und stieß sie zärtlich mit dem Kopf. Das Futter rührte sie aber nicht an. Die ganze Nacht drückte die Alte vor Kummer kein Auge zu. Auch die Ziege schlief nicht. Sooft die Frau das Tier nebenan im Stall rumoren hörte, setzte sie sich im Bett auf, klopfte gegen die Wand und fragte leise: »Was hast du denn, Meckerle?« Und jedesmal antwortete die Ziege mit einem klagenden »Mäh! «Als der Morgen anbrach, begann die Ziege aber so jämmerlich zu meckern, daß die Frau dachte: »Was hat sie nur? Hungrig kann sie doch nicht sein! Ich habe ihr ja einen ganzen Korb Futter gebracht! «

Weil die Ziege aber noch immer nicht still sein wollte, krabbelte die Alte aus dem Bett und ging in den Stall hinüber. Da lag noch der ganze Haufen Laub, und die Ziege stand daneben und meckerte vor Hunger. »Warum hast du denn nichts gefressen?« fragte die Frau erstaunt. »Ist das Futter vielleicht nicht gut?« »Mäh ... mäh ... mäh ...!« antwortete die Ziege und stieß das Maul in den Laubhaufen. Das kam der Frau seltsam vor, und sie griff hinein, um ein paar Blätter aufzuheben. Wie staunte sie aber, als sie unter ihren Fingern runde, harte Plättchen fühlte! Neugierig nahm sie eine Handvoll und trat damit ans Fenster. Jetzt erst sah sie, daß es funkelnagelneue Golddukaten waren! Alles Laub hatte sich in Geld verwandelt! Da mußte die Ziege freilich noch Hunger haben, denn Goldstücke hatte sie noch nie vorgesetzt bekommen. Die Frau aber war glücklich: nun hatte alle Not ein Ende! Mit Freudentränen in den Augen fiel sie der Ziege um den Hals und schluchzte: »Meckerle! Meckerle! Jetzt sind wir reich, und niemand kann uns voneinander trennen!« Am Nachmittag kam der Müller, um die Ziege zu holen.

Die Frau griff aber nur lächelnd in den Schürzensack und hielt dem Müller die zwei Dukaten hin. »Mein Meckerle kriegst du nicht!« sagte sie. »Da ist dein Geld! Nimm es und geh! Von nun an haben wir nichts mehr miteinander zu tun! «Der geizige Müller machte große Augen. Er nahm die Dukaten und kehrte kopfschüttelnd in seine Mühle zurück. Die alte Frau aber ließ nun ihr Häuschen herrichten und baute der Ziege einen neuen Stall. Wenn der Tag besonders schön und warm war, führte sie ihr Meckerle zum Waldbach und ließ das Tier dort grasen. Sie selbst setzte sich dann immer an denselben Platz, an dem sie damals den Bach reden gehört hatte. Der aber blieb von nun an stumm, so aufmerksam sie auch lauschte.

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from s'isch M​ä​rlizyt, released April 1, 2017
Max Stebich - Österreich

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Märlin Geschichtenerzähler Thun, Switzerland

Märlin Geschichtenerzähler alias Silvio Beltrametti, geboren am 5. Februar 1971 erzählt Märchen, Sagen und fantastische Geschichten und singt und musiziert mit verschiedenen Instrumenten.

Silvio Beltrametti hat vier Töchter die ihn zum Märchenerzähler inspirierten. Er lebt in Thun im Berner Oberland in der Schweiz
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